Monday, September 17, 2007

Heilmittel für die Seele

Heute fiel mir auf unspektakuläre Weise ein kleines Wunder in die Hände. Denn wie meistens, wenn man eines nötig hat, kam es leise angeschlichen, legte sich in meine Hände und überließ mir den Rest.
Ich musste meinen Vater zu seinem Sportzentrum fahren und hatte keine Lust, nach einer halben Stunde daheim wieder aufzubrechen. Das Tatarenbuch hatte ich beendet -endlich- und nun hatte ich nichts Lesbares zur Hand. Doch in der Küche lag ein kleiner Schatz. Noch ahnte ich davon nichts als ich das Buch mit dem Titel "Himmlische Wunder" (tatsächlich fällt mir eben erst auf, wie passend der Name ist!) und dem unscheinbaren, aber ansprechenden Umschlag einsteckte. Ich glaubte, dass es in Frankreich spielt, denn vorne prangte das Schaufenster einer Pâtisserie oder Chocolaterie -unauffällig aber ansprechend.
Da saß ich also in einem Café, leises Geplätscher von verschiedenen Stimmen und blauer Zigarettenrauch wehten und waberten durch den Raum dessen Wände passend mit französischen Postern geschmückt waren, vor mir standen eine heiße Tomatensuppe und ein Glas Wasser. Und dann schlug ich die erste Seite auf.
Bereits nach dem ersten Absatz wusste ich, dass mir der Zufall einige Wonnestunden geschenkt hatte, wovon die erste beginnen konnte. Lest selbst:

Kaum jemand weiß,dass im Verlauf eines einzigen Jahres mehr als zwanzig Millionen Briefe an Tote verschickt werden. Die trauernden Witwen und künftigen Erben vergessen, die Post abzubestellen, Zeitschriftenabonnements werden nicht gekündigt, entfernte Bekannte nicht informiert,die Mangebühren für die Bibliothek nicht bezahlt. Das bedeutet: Zwanzig Millionen Prospekte,Bankauszüge, Kreditkarten, Postwurfsendungen,Grußpostkarten, Briefe und Rechnungen landen tagtäglich auf den Schuhabstreifern und Parkettfußböden, werden durch Balkongeländer gesteckt, in Briefkästen gestopft, sammeln sich auf Treffenstufen, liegen auf Terrassen herum- ohne je ihrem Absender zu erreichen. Den Toten ist das egal. Den Lebenden auch- und genau das ist der entscheidende Punkt. Die Lebenden sind so mit ihren kleinen Sorgen beschäftigt, dass sie nicht merken, wie ganz in ihrer Nähe ein Wunder geschieht. Die Toten kehren zurück.

Im dritten Absatz wurde klar, dass es sich um Paris handelte. Ich war beglückt. Nach wenigen Zeilen war ich völlig im Zauber dieses Buches gefangen und ich ließ all die Ärgernisse und Anspannungen der letzten Tage wie mit Helium gefüllte Ballons einfach fliegen. Mir selbst ließ die Phantasie Flügel wachsen und in Gedanken streifte ich durch die Stadt der Liebe und nahm eine komplett neue Identität an.

Für diese Augenblicke lebe ich.

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